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MARCOS FOKUS

24.08.2020

In unserer neuen Bildserie fokussieren wir den Fokus. Und zwar jenen unserer lokalen Sportlerinnen und Sportler. Sie, die täglich an ihre Grenzen gehen. Körperlich und mental. Meist abseits des Rampenlichts, der grossen Stadien, der vielen Gelder. Obwohl sie in ihren Disziplinen zu den besten des Landes gehören. Wie bleiben sie dennoch fokussiert? Was geht ihnen kurz vor dem Wettkampf durch den Kopf? Welche Rituale durchleben sie? Sind die abergläubisch? Alle diese Fragen haben wir versucht, in einem Bild darzustellen und in einem Interview auszuführen. Zuerst steht der Leichtathlet Marco Kern im Fokus:


Marco, weshalb läufst du?

Laufen ist meine Leidenschaft, an der ich enorme Freude habe. Jedes Training ist für mich der Höhepunkt des Tages. Es ist wie eine Insel, auf der ich fokussiert bin, aber auch entspannen kann. Laufen macht mich glücklich und gibt mir Zufriedenheit. Wenn ein Tag mal nicht so ideal läuft, dann kann es das Lauftraining rausreissen und zum Highlight des Tages werden.


Du betreibst einen enormen Aufwand, bist mittlerweile 33 Jahre alt. Wie lange tust du dir das noch an?

So lange ich im Kopf kompetitiv bin, werde ich weitermachen. Das Alter hat auch etwas Positives: Mit der Erfahrung lernt man viel dazu und erkennt, wo noch Verbesserungen möglich sind. Ich bin in meinem Training auch effizienter geworden. Aber ich bin realistisch genug um zu wissen, dass der Traum von den Olympischen Spielen oder einer Weltmeisterschaft für mich nicht mehr in Erfüllung gehen wird.

Das ist genau dort, wo bei den Leichtathleten das Geld steckt…
Meine Einnahmen durch den Sport sind sehr klein, vieles basiert auf Sympathie von Sponsoren. Und natürlich auf lokalem Engagement, denn für viele bin ich immer noch der schnellste Schaffhauser Läufer. Zudem wissen die Leute, dass ich ein Kämpfer bin und immer wieder aufstehe. In den letzten sechs Jahren war ich sechs Mal verletzt - ich kam aber immer wieder zurück.

Du hast früher Fussball gespielt. Was ist der Hauptunterschied zwischen Fussball und dem Laufsport?

Für meine Dosis Befriedigung, also sprich einem erfolgreichen Wettkampf, braucht es extrem hartes und regelmässiges Training über einen längeren Zeitraum. Sehr viele Erfolgsfaktoren müssen am Tag X zusammenpassen. Im Fussball kannst du in der 90. Minute eingewechselt werden, ein Abstaubertor erzielen und dich als Held feiern lassen.

Und weshalb bist du nicht beim Fussball geblieben?

Ich habe bei Büsingen gespielt. Weil wir aber wenig Junioren waren, musste ich immer bei den älteren kicken. Da hatte ich meist keinen Stammplatz. Ich wollte aber aktiv sein und spielen.

Wie kam es dann zum Laufsport?

Als wir mit der Familie in den Campingferien waren, ging ich mit meinem Vater ab und zu joggen. Er meinte, ich sei also schon noch recht schnell und fragte mich, ob ich beim Schaffhauser Stadtlauf mitmachen wolle. Das war 1999. Nach diesem Lauf erhielt ich eine Einladung für ein Probetraining des Leichtathletik Clubs Schaffhausen. Ich fuhr zwar noch zwei Jahre zweigleisig, spielte Fussball und machte Leichtathletik nebeneinander. Ich merkte aber bald, dass ich der bessere Läufer war.

Wer war dein Vorbild?

Ganz klar André Bucher. Bei der WM 2001 in Edmonton stand ich mitten in der Nacht auf, um sein Rennen über 800 Meter zu schauen. Er wurde Weltmeister - und mein Vorbild. Nach diesem Ereignis fragte ich bei Daniel Rahm an, ob ich in seine Laufgruppe kommen dürfe. Er ist heute noch mein Trainer. Und mehr als das: Wir sind Freunde und Geschäftspartner. Dani ist auch mein Vorbild.

Wie bereitest du dich auf ein Rennen vor?

Ich koche mein Essen immer selber. Dann trinke ich zwei Espressi, etwa vier und zwei Stunden vor dem Start. Mit möglichst gleichen Abläufen versuche ich, Lockerheit und Entspannung reinzubringen. Die Spannung sollte in dieser Phase noch tief sein und sich danach stetig steigern. Dann wärme ich mich auf. Dabei stelle ich mir das Rennen mit dem optimalen Verlauf vor: Ich an der Zielgeraden, niemand ist vor mir. Danach mache ich meine Gymnastik und gehe aufs WC. Anschliessend ziehe ich das Trikot an und gehe in den Startbereich.

Sprichst du mit deinen Konkurrenten?

Ja, ein bisschen Smalltalk wird immer geführt. Ich versuche dabei Lockerheit auszustrahlen und gleichzeitig Stärke zu demonstrieren. Sprich bei den Shakehands etwas stärker abzuklatschen, klar und laut zu sprechen, auf die Brust zu klopfen. Die Konkurrenten sollen denken: Der Kern ist voll parat, aber verdammt locker.

Bist du abergläubisch?

Nein. Früher vielleicht noch eher. Wenn heute etwas in der Vorbereitung anders läuft als normal, habe ich aufgehört, mir Gedanken darüber zu machen. Es ist so, wie es ist. Man sollte mental flexibel bleiben. Denn die Energie, die man mit solchen Hirngespinsten vergeudet, kann im Rennen entscheidend sein. Ein Beispiel: Bei meinem zweiten Marathon in Düsseldorf habe ich dummerweise eine Unterkunft gebucht, die zwar wie geplant sehr nahe beim Start lag, allerdings auch mitten in der Ausgehmeile. Hinzu kam, das Fortuna Düsseldorf zu jenem Zeitpunkt auch noch in die Bundesliga aufgestiegen ist. Ich habe zwei Nächte praktisch nicht geschlafen, lief aber dennoch eine Minute schneller als im Vorjahr. Man sollte sich nie aus der Ruhe bringen lassen und den Fokus stets aufs Wesentliche halten.

Wie wichtig ist der mentale Bereich im Laufsport?

Enorm wichtig. 2013 war ich super drauf, holte an der Universiade unerwartet den sechsten Platz. Ich dachte, dass ich jetzt voll durchstarten würde. Aber ich wollte zu viel, machte mir Druck, zog mir einen Ermüdungsbruch zu und verpasste die Heim-EM in Zürich. Doch dieser herbe Rückschlag und die damit verbundene Enttäuschung machten mich mental stärker. Ich lernte, in den entscheidenden Momenten positiv zu denken und die richtigen Entscheide zu fällen. Ängste und Zweifel muss man ausblenden, denn sonst kann der Körper nicht das abrufen, was eigentlich möglich wäre. Mental kann man immer eine Schippe drauflegen, wenn es körperlich nicht mehr geht.

Worauf fokussierst du dich dann während dem Rennen?

Ich habe gelernt, in Schubladen zu denken. Eine Schublade für jede Situation, die sich im Rennen ergeben könnte. Also trifft zum Beispiel Situation A ein, ziehe ich Schublade A und reagiere entsprechend. Und ich achte stark auf mein Gefühl. Früher hatte ich nur die tickende Uhr im Kopf und im Blick.

Wie hast du den Fokus während all deinen Verletzungen halten können?

Klar, die Diagnosen waren immer komplette Zusammenbrüche für mich. Aber ab diesem Moment geht es eigentlich sofort aufwärts, denn weiter abwärts ist ja eigentlich nicht mehr möglich. Je schneller man sich dann wieder Ziele setzt, umso einfacher kann man den Fokus halten und nach vorne schauen.

Welche Ziele hast du noch in deiner Karriere?

Zunächst einmal, verletzungsfrei zu bleiben. Eine weitere Verletzung liegt wohl in meiner Karrieresituation nicht mehr drin. Deshalb habe ich mein Training angepasst, schone meinen Körper mehr, gebe ihm mehr Pausen. Ich laufe quasi weniger, damit ich länger laufen kann. Über all die Jahre konnte ich meine persönliche Leistung trotz der vielen Verletzungen halten. Näher an den Traum von Olympia oder WM bin ich aber nicht wirklich gekommen. Mein nächstes Ziel ist es, an den Schweizermeisterschaften im Cross eine Medaille zu holen. Und dann die Qualifikation für die EM in Dublin zu schaffen.


Marco Kern (33)

Leichtathlet (Langstrecke: Bahn, Cross, Strasse)

Training pro Woche: 12-18h

Ausbildung: Betriebsökonom FH

Berufliche Tätigkeit: Mitgründer und Coach der Laufsport-Plattform Runaissance

Hobbies: Mein Beruf ist mein Hobby

Aufgewachsen in Buchthalen SH








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